Alpen
Vom der Provence nach Ceüse
Entrechaux – Courchon – La-Palud-sur-Verdon
Nach zwei coolen Klettertagen in Mollans-sur-Ouvèze hat der Wind gedreht und der Regen hat eingesetzt. Gerne hätten wir auch im Klettergarten von Entrechaux geklettert, doch für mehr als einen Spaziergang entlang den Felsen ist es definitiv zu nass. Der Wetterbericht ist für die ganze Woche tendenziell nass und ungewiss. Wir nutzen die Zeit, um die «Büroarbeit» zu erledigen und lassen uns dabei die frischen Erdbeeren vom Bauernhof von Mollans schmecken. Am zweiten Regentag fahren wir für Magnesia – Nachschub nach Buis-les-Barronies. Per Zufall landen wir im Zero-Waste-Laden Festi’Vrac und lernen Isis und Clement kennen. Die beiden sind vor ein paar Jahren mit ihrer 5 Monate alten Tochter während anderthalb Jahren per Velo durch Europa gereist, um zwischen Spanien, Frankreich und Griechenland zu klettern. Für uns sind ihre Berichte sehr motivierend und bekräftigen die Machbarkeit unseres Projekts. Gerne wären wir ihrer Einladung für eine Übernachtung gefolgt, doch das Wetter verschlechtert sich zunehmend, die Chancen auf einen trockenen Klettertag in Entrechaux sinken praktisch auf null und wir wollen die Regentage für die Reise in den Verdon nutzen. Nach 2 Übernachtungen im Camping Les Trois Rivières fahren wir am 30. April los. Der Morgen ist trocken und wir geniessen die Sonnenstrahlen beim Mittagessen, bevor der Regen einsetzt. Bis wir in Sedron ankommen, haben wir Gewissheit, dass unser Regenschutz weitgehend hält, was er verspricht. Dennoch sind wir nicht traurig, dass der Regen am späten Nachmittag nachlässt und wir die letzten zwei Stunden im Trockenen fahren können. An diesem Abend fragen wir zum ersten Mal bei Leuten, um unser Zelt in der Nähe ihres Hauses aufzustellen. Und Arline hat das Glück, ihre nassen Schuhe zum Trocknen neben das Cheminee zu stellen. Nach einer mehrheitlich trockenen Nacht verpacken wir unser Material wasserdicht und fahren einem nassen Tag entgegen. Der Regen wird immer stärker, die Regenüberzüge der Schuhe von Arline sind als einzige im Test durchgefallen und währen wir nicht am frühen Nachmittag bei Freunden in Dignes-les-Bains angekommen, hätte das Risiko bestanden, dass uns Schwimmhäute gewachsen wären. Bei Kira und Dorian wärmen wir uns am Cheminee mit einer Tasse heissem Tee auf und diskutieren anschliessend bei einem Bier die lohnenswertesten Routen im Verdon, während es draussen regnet wie aus Kübeln.
Der kommende Morgen ist sonnig und schön. Uns erwartet eine abenteuerliche Strecke mit einigen Höhenmetern und Strassenabschnitten in schlechtem Zustand bis nach Courchon. Die Strecke über Saint-Jurs ist landschaftlich sehr schön, mit unseren beladenen Velos aber sehr mühsam zu fahren. Es ist wohl das erste und letzte Mal, dass wir dem Ratschlag eines Mountainbikers folgen, auch wenn er anscheinend schon mit seinem Van hier durchgefahren ist. Doch mit der Ankunft in Courchon ist alle Mühe vergessen, denn die Aussicht auf den Lac der Saint-Croix mit seiner türkisblauen Farbe und die umliegende Landschaft ist umwerfend. Nachdem wir unser Material versteckt haben, klettern wir noch einen Moment mit Kira und Dorian. Die Felsen sind fast vollständig nach Süden ausgerichtet und daher eher ein Winterklettergebiet, mit dem Wind sind die Temperaturen aber durchaus angenehm. Wir klettern anderthalb Tage in Courchon und fahren am 4. Mai über die Voie Romaine nach Moustiers-Sainte-Marie. Wobei der Begriff «fahren» fast übertrieben ist. Wären wir mit einem Mountainbike unterwegs gewesen, hätten wir eine wilde und abenteuerliche Abfahrt erlebt. Wir haben die sichere Variante gewählt und unsere Velos über die steinigen Serpentinen nach unten gestossen. Die alte Strasse schlängelt sich entlang den Felswänden und überragt stolz das Dörfchen Moustier, welches als eines der schönsten Dörfer Frankreichs gilt. Von hier fahren wir zum Lac de Sainte-Croix, stellen unser Zelt auf den Campingplatz auf und brechen nach dem Mittagessen auf, um unsere erste Mehrseillänge in der Verdonschlucht zu klettern: «Pour une pincée de Ketchup». Wir seilen zwei Mal über die überhängenden Felsen ab, finden uns sehr schnell in der Ambiente der Verdonschlucht wieder, und lernen auch den Wind kennen, der uns während den 10 Seillängen um die Ohren pfeift und uns am nächsten Tag nach La-Palud-sur-Verdon schiebt, mit einem kleinen Unterbruch, um einen weiteren Platten zu flicken. In La Palud angekommen, installieren wir unser Basecamp auf dem Camping Bio-Verdon bei Jean-Marc, wo wir für zweieinhalb Wochen bleiben.
Klettern im Verdon
Vom Camping aus erreichen wir die Felswände einfach und per Velo über die Route des Cretes, welche die Schlucht auf der rechten Seite überragt.
Als kleine Info für diejenigen, die noch nie in der Verdonschlucht waren: die Zustiege zu den Mehrseillängen sind nicht zu unterschätzen und erfolgt per Abseilen, über Tiroliennes oder zu Fuss über mehr oder weniger ausgesetzte Wege. Sie alle bringen uns in eine unglaubliche Ambiente, irgendwo hoch über dem Fluss, in engen Schluchtpassagen oder mitten in den Felswänden. Der Rückzug im Fall eines Wetterumbruchs oder einer falsch gewählten Route ist nicht immer möglich, und der einzige Weg zurück ist die Flucht nach oben. Die Routenwahl erfordert daher eine minutiöse Planung.
In dieser Schlucht ist ein Teil Klettergeschichte geschrieben worden, mit den historischen Routen, welche den Rissen und Verschneidungen folgen und hinsichtlich Schwierigkeitsgrad und Hakenabständen nicht zu unterschätzen sind. Es finden sich aber auch Routen im modernen Stil, welche durch traumhafte Felswände verlaufen und nicht immer zwingend den offensichtlichen Schwachstellen des Gesteins folgen. Wir haben uns entschieden, hauptsächlich diese modernen Routen zu klettern und zwischen den verschiedenen Expositionen, Ambienten und Stilen zu variieren. Wir konnten wunderschöne Linien jegliches Typs klettern, und immer wieder auf eine Überraschung gefasst, wie den natürlich gewachsenen Tunnel, wo wir über 40 m durch den Dreck gekrochen sind, um auf der anderen Seite weiter zu klettern. (Die Bilder sagen mehr als wir hier beschreiben können)
Am Ende dieses Artikels haben wir euch eine Liste der gekletterten Mehrseillängen zusammengestellt.
Wir haben auch Besuch von mehreren Freunden erhalten (Alex, Benjamin und Gilles) und konnten neue Kontakte zu anderen Kletterern knüpfen (Jonathan Crison, Margeaux und Leo, Cathrine Chong und Jim,…) und auch zu Leuten, die zum Wandern in den Verdon gekommen sind, wie Mathilde und Matheo, die mit ihrem Esel Anathola durch die französischen Alpen wandern. Und sobald die Terrassen der Restaurants wieder offen waren, haben wir die Gelegenheit genutzt und uns seit Monaten wieder einmal ein Bier servieren lassen. Kurz gesagt: wir haben die Zeit in La Palud genossen!
An unserem letzten Tag im Verdon wären wir gerne die Route «tandem pour une évidence» geklettert, um nochmals in den Genuss der verschiedenen Stile zu kommen. In guter Vorbereitung sind wir beizeiten in den Schlafsack gekrochen, doch erholsam war die Nacht nicht: Bertrand ist bald mit Zahnweh erwacht und auch eine gute Dosis Schmerzmittel konnten nicht helfen, um wieder zu schlafen. Dementsprechend kurz war auch die Nacht für Arline und am Morgen war klar: heute gibt es keine Mehrseillänge, sondern einen Besuch beim Zahnarzt.
Nach einem kurzen Telefonmarathon finden wir einen Zahnarzt «à l’Ancienne», also nach alter Schule, welcher Bertrand zwischen zwei Patienten behandelt und schnell erkennt, wo das Problem liegt: ein fauler Weisheitszahn. Die Prozedur ist kurz und nicht ganz schmerzlos, dafür günstig: nach 15 Minuten und 73.66 Euro weniger im Portemonnaie ist Bertrand wieder draussen und zurück im Camping ruhen wir uns erst einmal aus. Wenn sich Bertrand gut erholt, brechen wir morgen auf, um in Richtung Ceüse zu fahren.
Gekletterte Mehrseillängen im Verdon
– Pour une pincée de Ketchup; 6c
– Les deux pieds dand le pas; 7a+
– Lame fatale; 6c
– Rivière d’argent; 6b+
– Le gout des autres; 6b+
– Via Mathis, Partie supérieure; 7a+
– Les mains dans le sel; 7a
– Le fils de l’haltèrs et du pan ; 6c
– ZigoZago; 7a
– Hors Sujet; 6c
– Série Limité; 6c+
Verdon – Sigoyer
Und nach einer erholsameren Nacht als der vorangehenden, was nicht wirklich schwierig war, laden wir die Velos und folgen der Empfehlung von Jean-Marc: von La Palud fahren wir über die D17 Richtung Majastres. Obwohl es sich hierbei um eine Departements-Strasse handelt, finden wir uns bereits nach kurzer Zeit wieder auf einer unbefestigten Strasse. Dieses Mal jedoch in besserem Zustand als bei Saint-Jurs: wir kommen langsam voran, und geniessen dafür umso mehr die umwerfende Landschaft. Nach Majastres fahren wir ein enges Tal hinunter und stellenweise hat es nicht sehr viel mehr Platz als für den Bach, die Strasse und unsere Velos. Obwohl Bertrand nicht in Topform ist, kommen wir gut voran und unterhalb von Digne-les-Bains stellt sich fast ein Dilemma: halten wir an, um die beste Blutwurst Frankreichs zu kaufen oder geben wir noch alle Kraft in die Pedalen um vor Ladenschluss in Sisteron anzukommen: der Kreisel ist schnell passiert und mit ihm die Entscheidung. Wir fahren also bis nach Sisteron und kommen noch rechtzeitig an, um für Arline ein Paar neue Kletterfinken zu kaufen und die Alten zum Aufsohlen abzugeben.
Nach diesem langen Tag übernachten wir im Camping von Sisteron, bevor wir am nächsten Morgen den Einkauf erledigen und die Höhenmeter bis nach Sigoyer erkämpfen. Die nächsten zwei Wochen werden wir im Camping «les Guerins», am Fuss der Felswände von Ceüse, unser Lager aufschlagen um zu klettern.
Klettern in Ceüse
Wie ist es möglich, dass Kletterer aus aller Welt Tag für Tag einen Zustieg von 500 Höhenmetern und einer Marschzeit von einer Stunde in Kauf nehmen um zu klettern? Ganz einfach: unglaublich schöne Routen in jedem erdenklichen Stil, von überhängend bis plattig, auf Leisten, Wasserrillen, Nadeln und Löchern in jeder Grösse. Der Fels ist kompakt, wechselt zwischen grau, blau und orange und bietet Klettereien in allen Schwierigkeitsgraden. Und nach kurzer Zeit kennen auch wir den Zustieg in und auswendig.
Das Leben rund um Ceüse ist einfach. Am Morgen haben wir Zeit zum Ausschlafen und einem gemütlichen Frühstück, bevor wir gegen Mittag zur Felswand hochlaufen, und jeweils am Nachmittag und Abend im Schatten klettern. Und auch wenn am Nachmittag ein gelegentliches Gewitter die Magnesiaspuren wegwäscht, sind die Felsen nach einer halben Stunde wieder trocken und die Wolken zaubern zum Sonnenuntergang ein herrliches Farbspektakel. Wir haben an einem Abend von drei Kletterer aus Grenoble die Einladung zum Apero in ihrem Basecamp auf dem Plateau von Ceüse erhalten. Und bei Pastis, «Päcklisuppe» und Hörnli mit Pesto haben wir einen schönen Sonnenuntergang genossen, bevor wir im Mondschein über die Via Ferrata und durch den Wald wieder zum Camping gelaufen sind.
Wir haben erneut Besuch von Freunden aus dem Wallis erhalten und einige Tage gemeinsam geklettert. Vor allem haben wir die Gelegenheit genutzt um mit ihnen nach Gap zum Einkaufen zu fahren. Denn mit dem Velo wäre der Pausentag mit Einkaufen nicht sehr erholsam gewesen, da es doch 500 Höhenmeter und etwas mehr als 15 km bis nach Gap sind.
Nach fast drei Wochen klettern in Ceüse haben wir uns langsam an die grossen Hakenabstände gewöhnt und sind so bestens trainiert für die teilweise engagierten Routen und Mehrseillängen im Val di Mello, welche wir nach circa einer Woche Velofahren durch Italien erreichen werden. Wir freuen uns!
Kontakt: info@theotherwayaround.ch