Griechenland
Mit dem Velo über eine Zeitzone
Gegen Mittag nach unserer Abreise in Permët haben wir den Zoll in Mertzianis erreicht. Bevor wir auch nur «Kalimera» sagen konnten, hatten wir auch schon das Stäbchen für den Covid-Schnelltest in der Nase. Dank negativer Rückmeldung dürfen wir weiter zum Zollbüro und unseren Weg fortsetzten. Wäre die Zollstation nicht gewesen, so hätten wir nicht direkt gemerkt, in einem anderen Land zu sein. Wir folgten weiter dem Fluss Vjosë und sind in den ersten Stunden durch die vielen Hügel Richtung Ionnina auch niemandem begegnet. Nur zeitweise hörten wir von Weitem das Bellen von Hirtenhunden. Wir wären in einer ersten Etappe gerne durch den Pindos Nationalpark nach Meteora gefahren, doch die Warnungen vor den Angriffen von Hirtenhunden auf Fussgänger und Velofahrer haben uns etwas verunsichert. Als wir dann in der Nähe von Ionnina ebenfalls die grosse Föhnmauer sehen, welche die Bergkette des Pindos Nationalpark fest im Griff hat, wählen wir die Wintervariante: die Velos dürfen wir im Backpacker von Ionnina lassen und per Bus fahren wir für zwei Tage nach Kalambaka.
Meteora
Meteora bedeutet so viel wie «in der Luft Schwebend» und der Name bezieht sich auf die christlich orthodoxen Klöster, welche in die Felswände oder auf die einzelnen Türme gebaut worden sind. Bei der Besichtigung zweier Klöster erfahren wir, dass vor 1920 der einzige Weg zum Kloster darin bestand, sich in einem Korb hochziehen zu lassen. Beim aktuellen Regenwetter ist an Klettern nicht zu denken und da die Korblifte durch Treppen ersetzt worden sind, folgen wir brav dem Touristenprogramm. Die Klosterterrassen bieten eine gute Aussicht auf die Felstürme aus Konglomerat und Sandstein und wir klettern die Routen im Geiste; beim nächsten Mal werden wir trockneres Wetter einplanen.
Unterwegs nach Leonidio
Gestärkt von dieser zweitägigen Pause fahren wir während 6 Tagen entlang dem Meer bis nach Leonidio auf der Halbinsel Pelepones. Wir fahren von Ionnina nach Arta und folgen von Vonitsa bis Astakos der Küste. Unser Weg führt uns durch Orangen- und Mandarinenhaine, das Wetter ist schön und weder zu heiss noch zu kalt. Bei diesen optimalen Bedingungen kommen wir gut vorwärts und legen am Tag bis zu 90 km zurück. Am Strand von Mytikas stellen wir das Zelt bei einem traumhaften Sonnenuntergang auf und verbringen mit Delphine und Dilan einen herzlichen Abend am Lagerfeuer. Auf dem Weg nach Leonidio kommen wir immer wieder zu Bäckereien mit den griechischen Süssigkeiten. Während Arline nach 5 Minuten erst ein Stück gegessen hat, hat Bertrand seine ganze Auswahl bereits verschlungen, so dass er ihr später neidig zusehen kann. Velofahren macht hungrig…
Als wir am 4. Tag bei der Charilaos-Trikoupis-Brücke ankommen, müssen wir erst einmal einen Weg «auf» die fast 3 km lange Brücke nach Patras finden. Mit den Velos werden wir auf die Fussgängerpassage gewiesen, die aber nur über Treppen zu erreichen ist. Wir drehen drei Mal ums Mautgebäude, die bellenden Hunde versetzen Bertrand in Panik, verstehen aber erstaunlicherweise Schweizerdeutsch und lassen zum Glück bald von uns ab. Sobald wir auf der Brücke sind, erwartet uns ein Regenschauer und ab jetzt fahren durch einen verregneten Nachmittag Richtung Korinth.
Die nächsten zwei Tage nach Leonidio sind immer noch verregnet und uns begegnen andauernd Strassenhunde. Anders als in Bosnien, Montenegro und Albanien sind diese hier einiges aggressiver und häufig als Meuten nahe der Abfalldeponien anzutreffen. Sie laufen uns bellend nach und kommen oft sehr nahe. Obwohl wir Mitleid für die Abfallhunde haben, so sind wir uns durchaus auch deren Gefahr bewusst. Und auch wenn es grausam klingen mag, mit Steinen nach Hunden zu werfen oder mit Stöcken nach ihnen zu schlagen, ist dies immer noch besser, als in den Fuss gebissen zu werden. Wir fahren mit einer gewissen Anspannung durchs Landesinnere, um frühzeitig den nächsten Hund entdecken zu können. Sobald wir Astros erreicht haben und somit wieder am Meer sind, treffen wir weniger Hunde und müssen nur noch den Regen über uns ergehen lassen. Der viele Regen hat aber auch die gute Seite, dass wir ein sehr grünes Griechenland kennenlernen und auf der Strasse praktisch kein Verkehr herrscht.
Leonidio
Seit unserer Abfahrt in Ionnina sind wir nun 560 km im Velosattel gesessen und freuen uns riesig, als wir am 24. November Leonidio erreichen und endlich wieder klettern können. Die Nächte sind zwischenzeitlich lang geworden und wir entscheiden uns, für die Zeit hier ein kleines Apartment zu mieten. Unter uns wohnt ein älteres Ehepaar und wir fühlen uns wie bei unseren Grosseltern: jeden Morgen bringen sie uns türkischen Kaffee und Kuchen, schenken uns Orangen und Mandarinen und begrüssen uns immer mit einem grossen Lachen, wenn wir nach einem Klettertag wieder nach Hause kommen.
Leonidio ist aktuell bei Kletterern voll im Trand: viele neue Sektoren, keine speckigen Routen, ein warmes Klima und eine herzliche Gastfreundschaft. Wir klettern vor allem in den Sektoren in der Nähe des Dorfes, da diese gut mit dem Velo oder zu Fuss erreicht werden können. Bezüglich der Orientierung gibt es ebenfalls eine grosse Auswahl: an besonders warmen Tagen ist es in den Sektoren Mars, Jupiter oder Sabaton kühl und schattig, und wenn der Nordwind die Temperaturen doch etwas zu tief hält, so ist es in Theos Cave, Yellow Wall, oder Miti windgeschützt und warm. Und was tun, wenn es regnet? Die Sektoren Twin Cave oder H.A.D.A wären regensicher, doch die leckeren Pancakes in der «Cassetta» stellen ebenfalls ein verlockendes Alternativprogramm dar. Die Vielfalt an Formationen und Kletterstilen sind jedoch längst kein Geheimnis mehr, und dementsprechend ist am Wandfuss oft viel los.
Auch wenn die Sektoren weiter oben im Tal für uns unentdeckt bleiben (zu weite Strecke für eine Anfahrt mit dem Velo) so verabschieden wir uns nach fast vier Wochen Klettern von Leonidio und fahren nach Athen.
Administration – eine Zwischenbemerkung
Hier in Leonidio haben wir auch die weitern Vorbereitungen für die Reise in die Türkei und später in die USA unternommen. In beiden Fällen haben wir Ernüchterungen erlitten: Zwischen Kalymnos und Bodrum fahren keinerlei Fähren und wir werden entweder pokern müssen, dass uns ein privates Schiff von Kalymnos aus mitnimmt oder uns mit 2’000 km Umweg geschlagen geben. Und auch wenn wir ein Schiff finden, so begeben wir uns möglicherweise in eine legale Grauzone…
Das Visum für die USA lässt weniger Freiraum zur Verfügung: weder in Athen, Istanbul, Ankara oder Quebec werden wir in absehbarer Zeit ein 6-monatiges Visum erhalten. Wenn wir nicht mit einem ESTA reisen, und unser Programm auf 90 Tage zusammenquetschen wollen, brauchen wir eine andere Lösung. Kommt Zeit, kommt Rat…
Eine kurze Reise nach Athen
Am 20. Dezember lassen wir Leonidio hinter uns und fahren dieselbe Strecke zurück nach Korinth. Gerne wären wir von Nauplio Richtung Port Heli gefahren und hätten von Poros die Fähre nach Athen genommen, doch diese Art von Fähre nimmt keine Velos mit. Und mit dem Velo nach Athen fahren? Wir haben eine Weile darüber nachgedacht und uns erkundigt, doch die meisten Ratschläge von Velofahrenden waren abratend: zu gross und zu verkehrsreich ist die Peripherie der Stadt und das Risiko eines Unfalls ist gross, denn sogar im griechischen Kletterführer wird die Fahrt aus Athen zum Klettergebiet als der gefährlichste Teil des Tages beschrieben.
Nach zwei kurzen Etappen erreichen wir in Korinth wie geplant den Zug nach Athen und finden uns nach einer Stunde Fahrt im Stadtzentrum wieder. In Griechenland sind Velos im Regionalverkehr gratis und die Veloabteile befinden sich entweder zu vorforderst oder zuhinterst vom Zug.
Bertrands Bruder hat uns als Weihnachtsgeschenk drei Nächte in einem Hotel in Athen geschenkt und wir können in aller Ruhe die Akropolis besichtigen, durch die Stadt spazieren und entdecken Loukoumades, die griechische Version der Uštipci, den pfannkuchenartigen frittierten Bällchen.
Am Abend des 24. Dezembers fahren wir mit den beladenen Velos zum Hafen Piraeus, von wo uns die Fähre nach Kalymnos bringt. Wir wollen uns diese viel gerühmte Kletterei nicht entgehen lassen und erhoffen eine Chance, am Hafen ein Segelboot zu finden, welches auf den Weg in die Türkei ist.
Kalymnos
Am Weihnachtsmorgen erreichen wir den Hafen von Kalymnos und beim Anblick der vielen Leute, die ihre Verwandten abholen, wird es uns so weit weg von unseren Familien schwer ums Herz. Die kühle Morgenluft und die Freude auf ein Bett lassen dieses Gefühl rasch verfliegen und wir erreichen das gemietete Studio nach einer guten Stunde mit dem Velo. Das ansonsten von Touristen belebte Dorf Masouri ist völlig verlassen und auf der Strasse treffen wir mehr Katzen als Menschen. Dies heisst aber auch, dass wir alle Sektoren fast allein für uns haben. Insbesondere in der Grande Grotta, wo die Leute in der Hauptsaison Schlange stehen, um eine Route zu klettern, treffen wir nicht an allen Tagen andere Kletterer. Die Formationen der Tropfsteine sind noch bizarrer als in Leonidio und auch wenn die Routen teilweise nass sind, finden wir perfekte Bedingungen.
Wir feiern Silvester mit unserem Freund Duje und einem grossen Fondue. Am zweiten Neujahrstag stossen auch Romaine und Martin, ebenfalls Freunde aus dem Wallis, zu uns und wir klettern einige Tage zusammen.
Warten auf Kos
Während den zwei Wochen auf Kalymnos haben wir auch eine Reihe von Mails versendet, um uns detaillierter über die Überfahrt in die Türkei zu informieren. Die Antworten bestätigen uns, dass jeglicher Personentransport in die Türkei verboten ist. Doch wir können den Anblick der türkischen Küste, die 6 km von uns entfernt ist, nicht mit diesen Antworten vereinbaren und suchen weiter. Wir laufen entlang dem Hafen, fragen Leute, welche am Hafen anlegen und sprechen mit Yachtagenturen. Und am Tag, an dem wir Duje in Kos abholen, zeigt sich ein Hoffnungsschimmer. Wir treffen einen Herrn, der mehr zu wissen scheint, als andere uns sagen wollen. « Ja, es gibt einige private Bote die zwischen Kos und Bodrum verkehren», versichert er uns, «im privaten Rahmen bleibt es erlaubt. Und auch wenn der Personentransport nicht legal ist, kann ich versuchen für euch etwas zu organisieren. Kontaktiert mich zwei Tage bevor ihr fahren möchtet.» Doch als wir ihn zweit Tage vor Abreise kontaktieren, erfolgt die Ernüchterung: die Hafenpolizei hat die Kontrollen verstärkt und unsere Hoffnung löst sich in Rauch auf.
Am selben Abend trinken wir mit Duje ein Bier am Hafen von Pothia und ergeben uns der Gegebenheit, mit der Fähre elf Stunden zurück nach Athen zu fahren und von dort via Istanbul auf dem Landweg nach Antalya zu fahren. Während wir dem Pier entlangschlendern, sehen wir eine Frau auf einem Segelschiff und geben uns einen letzten Ruck, viel kann nicht mehr schief gehen. Und siehe da! Sie vermittelt uns an einen erfahrenen Kapitän, der sowohl die lokalen Gewässer wie auch die Leute der Küstenwache und der Zollverwaltung gut kennt. Er erwartet uns in zwei Tagen in Kos und wird uns nach Bodrum bringen. Duje reist am Samstag, 8. Januar wieder nach Hause und auch wir sind zuversichtlich, morgen Abend die Türkei erreicht zu haben. Und während wir auf die Fähre nach Kos warten, erhalten wir eine Nachricht von unserem Kapitän: «Ich muss die Überfahrt annullieren, habe einen privaten Notfall, Entschuldigung.»
Und was tun wir jetzt? Das Wetter ist auf jeden Fall stürmisch und es regnet heftig. Wir entscheiden uns, in Kos zu warten, wir können ja nie wissen… Während die Wellen gegen die Hafenmauer peitschen und die Uferpromenade mit Algen zupflästern, verbringen wir die Zeit mit Warten und beobachten den Hafen. Am zweiten Tag fährt ein israelisches Segelschiff in den Hafen ein und da wir nichts mehr zu verlieren haben, sprechen wir den Kapitän an. Nach einigen Sätzen haben wir uns auf ein Bier verabredet und sind auf seinem Schiff willkommen. Sobald sich das Wetter beruhigen wird, werden wir zusammen in die Türkei fahren!
Und das Warten geht weiter… Die Dame an der Hotelreception hat sich langsam daran gewöhnt, dass wir jeden Tag um eine weitere Nacht verlängern, doch am Mittwochmittag legt sich der Wind ein wenig und wir packen unsere Velos aufs Segelschiff, während Tomer, unser Kapitän, die Ausreisepapiere zusammenträgt. Zeitgleich erfahren wir, dass während unserer Wartezeit andere versucht haben, Passagiere zu transportieren und mit 5’000 € bestraft worden sind. Da wir jedoch als Freunde reisen, füllen wir die Grauzone vollständig aus.
Eine Stunde später haben wir die Leinen gelöst und nehme Kurs auf Bodrum. Der Wind weht immer noch stark und wir werden in den Wellen gut durchgeschaukelt. Die Überfahrt dauert etwas länger und obwohl wir den türkischen Zoll über unsere späte Ankunft informiert haben, müssen diese sich doch etwas länger gedulden. Und Tomer lässt sich durch nichts und niemanden hetzten. Bis dann die Zollformalitäten erledigt sind, ist es Nacht geworden und wir erfahren, dass es für das Segelschiff im Hafen von Bodrum keinen Platz gibt. Bei Nacht durch fremde Gewässer zu fahren, kommt für unseren Kapitän nicht in Frage und nach einer kurzen Diskussion dürfen wir die Nacht am Anlegeplatz der Küstenwache verbringen; wobei aber unser spätes Ankommen plötzlich mit 25 € Busse bestraft wird. Wir lachen über die unwahrscheinliche Situation, während wir durch den Security Check des Zolls spazieren, um am Hafen unsere Ankunft in der Türkei zu feiern.
Kontakt: info@theotherwayaround.ch