Die Rocky Mountains des Wilden Westens
Durch die Berge des Kananaskis in die Prärien Albertas
Mitte Juni verlassen wir Canmore und die Familie Wilson nach einem anstrengenden Zahnarztmarathon. Wir freuen uns, das Abenteuer fortzusetzten, doch der Abschied von Sarah, Warren, Sophia und Charlotte fällt schwer. Wir haben hier eine wunderbare Zeit verbracht, sei es beim gemeinsamen Kochen, Lachen, Geschichtenerzählen oder Kajakfahren. Wir sagen tausend Dank und beim Aufbruch lässt der Himmel ein paar Tränen für uns fallen. Und nach 200 m fahren wir durch die Traufe; zum Glück nur für 5 Minuten.
An der Ortsgrenze von Canmore beginnt direkt die Wildnis, und auf unserem Weg an die US-Grenze bleiben wir die ersten 4 Tage fernab von jeglicher Zivilisation; inmitten des Bärenlands. Doch obwohl uns mehrere Leute vor Bärensichtungen in Strassennähe warnen, sehen wir keine. Weder die beiden Grizzly- Männchen noch die Grizzly-Mutter mir ihren kleinen. Entweder sind wir zu langsam, oder wir haben einfach nicht denselben Fahrplan. Und dass, obwohl wir pro Tag etwa dieselbe Strecke zurücklegen, den Strassen folgen und gelegentlich zum Essen halt machen. Velofahrer und Bären scheinen gar nicht so verschieden, oder?
Wir folgen dem Smith Dorrien Trail, traversieren den Highwood Pass, den höchsten asphaltierten Pass Kanadas, und erreichen am dritten Tag den Oldman River.
Die Strasse entlang dem Fluss führt uns durch eine versteckte Schlucht und mit einem Schlag haben wir die Berge hinter uns gelassen und befinden uns im den hügeligen Prärien Albertas. Vor uns liegen grüne Hügel, soweit das Auge reicht. Nach der Traverse der Rocky Montanis ist dies ein abrupter Landschaftswechsel, die Höhenmeter werden weniger und weniger, je näher wir der US-Grenze kommen. Auf dem Weg zur Palmer – Ranch, auf Warrens Empfehlung, stellen Gewitterwolken während des ganzen Tages ihr Schauspiel vor, doch wie durch Geisterhand bleiben wir jedes Mal aufs Neue verschont. Was uns aber nicht erspart bleibt, ist die anstrengende letzte Stunde auf der Landstrasse durch den nassen Sand bis zur Ranch. Julia Palmer, die Besitzerin der Ranch heisst uns herzlich Willkommen, offeriert uns ein Zimmer mit Bett und Gemeinschaftsdusche im Bunkhouse. In dieser einzigartigen Oase direkt am Fluss nehmen wir uns einen Tag Zeit zum Entspannen und Auftanken. Julia nimmt uns mit auf einen Ritt durch die Rinderherde: für Arline eine einzigartige Gelegenheit wieder einmal zu Reiten; und für Bertrand eine Premiere. Oder wie es im Slang heisst, ein Greenhorn. Die Pferde werden vor allem als Arbeitstiere während des «Brandings» (Einfangen der Kälber des Frühlings zum Brandmarken und Impfen) eingesetzt und sind diesbezüglich gut erzogen und folgsam. Am Abend essen wir zusammen mit der ganzen Familie und den Ranch-Helfern Burger und Julia hat auch ihren Nachbarn Sascha eingeladen, damit wir Tipps für Klettergebiete in den USA austauschen können.
Montana
Ausgeruht und aufgefuttert machen wir uns am nächsten Morgen auf den Weg, mit dem Ziel noch heute die Grenze zu überqueren. Der Morgen startet mit Rückenwind, doch im Verlauf des Nachmittags, nachdem wir lernen wir den Westwind der Prärien kennen, ein starker Föhn, der uns von den Rockies hinunter entgegen bläst und unser Vorwärtskommen stark verlangsamt. An der Grenze von Carway werden unsere Fingerabdrücke gescannt und wir verbringen eine Viertelstunde im Zollbüro, doch wir schaffen es, die Peperoni über die Grenze zu schmuggeln. Anscheinend ist es verboten, diese über die Grenze zu nehmen, und so erfolgt beim Nachtessen eine Beweisvernichtung, rund 10 km südlich des Zolls auf einem offiziellen Campingplatz.
Am nächsten Morgen führt unser Weg zurück in die Berge und durch den Glacier National Park. Hiermit warten auch wieder mehr Höhenmeter auf uns, zeitweise von Gegenwind begleitet. Nach der langen Steigung nach St. Marie sehen wir einen Schwarzbären, während wir am Rotlicht einer Baustelle warten. Als dieses dann endlich auf Grün schaltet, werden wir von der Security angehalten: Velos dürfen die Baustelle nicht traversieren. Die Lösung? Wir laden die Velos samt Gepäck auf den «Pilot-Pickup» und werden durch die 10 km lange Baustelle chauffiert, leider abwärts, so dass es im Anschluss direkt wieder mit einem Aufstieg weitergeht. Wir folgen dem Fuss der Rockies durch East Glacier Park Village, Heart Butte nach Dupuyer bis zum Sun River. Sobald wir den Nationalpark und das Reservat der Blackfeet verlassen haben, campieren wir öfters auf BLM- Land (Bureau of Land Management, und somit Boden, der «allen» gehört) oder in City-Parks (kostenlose Campingplätze, die von der Gemeinde zur Verfügung gestellt werden und mindestens eine Toilette haben, und im besten Fall sogar eine Dusche).
Um die kulturelle Seite während unserer Reise nicht ganz zu vergessen, machen wir beim «First Peoples Buffalo Jump» halt, bevor wir den Missouri überqueren und dem Smith River durch die wilde, trockene Landschaft bis nach White Sulphur Springs folgen. Als letzten Halt vor der Wildnis können wir auf einer Ranch mit Pfauen, Hühnern und Lamas in einem «Homestead» übernachten. Am folgenden Tag erwarten uns ein langer Weg über eine Naturstrasse in praller Sonne und der Baum zur Mittagspause ist ein Geschenk. Wir wissen, dass wir mindestens 65 km schaffen müssen, denn erst dann erreichen wir den Creek (kleiner Fluss), und somit Wasser. Gebraten erreichen wir ein flaches Plätzchen direkt am Fluss, und nach einem Bad und dem Nachtessen legen wir uns noch vor Einbruch der Nacht schlafen. Bis wir uns aber im Thermalwasser entspannen können, warten weitere 70 km auf uns, doch weitgehend abwärts. Und rund 20 km vor Ankunft schenkt uns eine Frau eine selbstgemachte «summer sausage», eine Hirschwurst, die ausgezeichnet schmeckt und sich auf ein Stück Brot streichen lässt. Und sie ist so gross, dass wir sie zweiteilen müssen, um sie in unseren Taschen verstauen zu können.
White Sulphur Springs ist ein Ort zum Auftanken in mehreren Sinnen: Einkaufen, ein Bad im Thermalwasser, ein Nachtessen im Restaurant, und eine Nacht im Hotel, offeriert von Bertrands Bruder. Und trotz der anstrengenden Tage entlang dem Smith River sind wir am nächsten Morgen wieder frisch und voller Energie, perfekt für einen langen Tag mit starkem Rückenwind und um 13 Uhr haben wir bereits 80 km hinter uns. Während anderthalb Tagen folgen wir dem Yellowstone – River nach Columbus und queren dann Richtung Fromberg
und Bridger. Erneut erhalten wir ein Geschenk, dieses Mal eine Flasche Wein, und in Fromberg, einem Dorf, welches von den Überschwemmungen des vergangenen Monats schwer getroffen wurde, werden wir kurzerhand zum Mittagessen mit den Helfern der Aufräumarbeiten eingeladen. Wir sind beeindruckt von der Grosszügigkeit der meisten Leute. Doch wir lernen auch die andere Seite kennen: Leute, denen Veloreisende nicht ins Weltbild passen und die uns für Spinner halten. Zum Glück sind diese aber in der Minderheit.
Eine rote Landschaft mit einer Priese Canyon
Wir kommen in immer trocknere Gebiete und sobald wir die Nähe des Flusses und somit der Bewässerten Gebiete verlassen, ist die Landschaft augenblicklich trocken, gelb und von einer fremden Schönheit. Auf dem Weg zum Big Horn Canyon fahren wir entlang dem Fuss der Pryor- Mountains durch die Steppen und an als wir in ein kleines Tal einbiegen, verändern sich die Farben auf einen Schlag: die gelb-grün-grauen Steppen weichen einem tiefroten Felsen, und gelegentlich hat ein Busch genügend Wasser, um in vollem Saft zu wachsen.
Beim Horseshoe Bend kühlen wir uns im Reservoir ab und reservieren für den nächsten Tag ein Kanu, um den Bighorn und den Devil’s Canyon zu erkunden. In der Ruhe des Morgens kommen wir gut vorwärts, doch auf dem Rückweg hat es bedeutend mehr Verkehr im Canyon und mit dem aufgepeitschten Wasser wird das Vorwärtskommen zur Herausforderung. Zum Glück haben wir von einem Ausflugsboot Wraps, Fruchtspiesse und ein kühles Bier erhalten, und sind so gestärkt für die Herausforderung.
Das kontinentale Klima bringt auch heisse Temperaturen mit sich, und am Nachmittag steigt das Thermometer gut und gerne auf über 34°C, im Schatten. Aus diesem Grund stehen wir jeweils früh auf und nutzen die Morgenstunden, so dass wir die erforderliche Tagesetappe spätestens um 15:00 Uhr beenden können. So verbringen wir die heissen Stunden des Tages im Schatten und haben auch Zeit, mit allfälligen Campingnachbarn ins Gespräch zu kommen; was sehr komischen Situationen mit sich bringt: nachdem wir mit unserem Zeltnachbarn geplaudert haben und ein Glas Wein offeriert haben, beginnt er uns seine Schusswaffe zu erklären, mit der diskreten Nebenbemerkung, dass diese nicht lizenziert ist… Und wir begreifen schnell, dass hier die Schusswaffe zur Alltagskleidung gehört, ganz so normal wie das Hemd. Am Abend des 4. Juli, des Nationalfeiertages, werden wir von unseren Campingnachbarn zu Bier und Nachtessen eingeladen. Wir verstehen uns ausgezeichnet mit dem jungen Pärchen, doch der Blick auf die Schusswaffe, die er offen am Gürtel trägt (und uns ebenfalls ausführlich erklärt hat) ist gewöhnungsbedürftig. Als deren Freund, ein Cowboy im Ruhestand dazustösst und Bertrand fragt, was er für eine Waffe trägt, fällt er aus allen Wolken, als Bertrand antwortet, dass er keine hat. Seiner Ansicht nach müssen wir verrückt sein…
Nach 1’300 km, 18 Tagen auf dem Velo und einem Ruhetag im Pferdesattel erreichen wir Ten Sleep in der Mitte des Tages pünktlich zum Kletterfestival. Nach der bisher längsten Veloetappe, und einem sehr abrupten Wechsel von winterlicher Kälte zu trockener Hitze freuen wir uns unglaublich darauf, das Velo beiseitezustellen und wieder zu klettern.
Ten Sleep Canyon
Die ersten 4 Tage bleiben wir auf dem Camping der Ten Sleep Brauerei. Leider gibt es hier keine Bäume, und so suchen wir die Kühle entweder im Innern der Brauerei oder wir gehen mit anderen Kletterern mit und klettern an den schattigen Felsen. Wegen des Festivals wollen wir nicht direkt hoch in den Canyon fahren, nur um dann für 2 Tage wieder die 1’000 Höhenmeter hinunter und wieder hinaufzufahren. Doch wir lernen coole Leute kennen und nehmen auch an den vielen Wettbewerben des Festivals teil, ein wenig zur Belastung der Sehnen.
Die Klettergebiete in den USA liegen weitgehend ausserhalb von Dörfern und Infrastrukturen und erfordern für uns somit einigen Mehraufwand. Wir können genügend Lebensmittel für eine Woche transportieren, doch wenn in der Nähe des Basecamps kein Wasser verfügbar ist, nützt uns auch unser Wasserfilter nichts. Nach den 4 Tagen auf dem Camping neben dem Dorf nehmen wir vollgepackt die 1’000 Höhenmeter in Angriff. Als diese geschafft sind, beginnt die Suche nach einem hübschen Zeltplatz auf dem BLM- Land, wenn möglich mit Wasser. Dies beschert uns ein paar 100 Höhenmeter mehr, und dies auf einer Landstrasse, doch am späten Nachmittag werden wir fündig: eine kleine Wiese im Wald, direkt neben dem Fluss. Doch wo Wasser ist, sind auch Mücken und Fliegen… Die meisten Routen sind nach Osten orientiert und kommen so erst gegen 14 Uhr in den Schatten. Für uns heisst dies ausschlafen (bis die Sonne zu fest aufs Zelt scheint…), gemütlich Frühstücken und nach dem Mittagessen in einem der Sektoren (The Arch, Mondo Bevondo, French Cattle Ranch, Valhalla) so viele Routen wie möglich im 7. Grad zu klettern. Ein kleiner Makel muss aber erwähnt sein: eine grosse Anzahl der Routen ist zwar schön zum Klettern und von homogener Schwierigkeit, doch viele der Löcher wurden künstlich geschlagen, was unserer Meinung nach eine Schande ist, doch zum Glück finden wir auch unbearbeitete Routen. Und nach einem langen Klettertag kommen wir vor Einbruch der Nacht zurück und legen uns nach dem Nachtessen schlafen.
Gelegentlich setzten wir uns zu unseren Nachbarn ans Lagerfeuer und an einem Abend schaut sogar eine Elchkuh mit ihrem Kalb vorbei, unbeeindruckt von unserer Anwesenheit. Mit den heissen Temperaturen der vergangen Tage hat sich der Reissverschluss des Innenzelts etwas verformt, so dass dieser nur noch schlecht schliesst und Arlines Isomatte hat sich aufgebläht und da gilt, nie zwei ohne drei, gibt auch die Powerbank den Geist auf. Sobald wir wieder in Ten Sleep sind und wieder Empfang haben, können wir damit beginnen, den Ersatz zu organisieren.
Unterwegs nach Lander
Nach sechs Klettertagen und einem Pausetag im Canyon von Ten Sleep brechen wir in der frühe des Morgens auf und geniessen die Abfahrt. Auf uns wartet eine grosse Etappe von 130 km bis nach Thermopolis. Mit Rückenwind kommen wir wunderbar voran und erreichen Warland um 11 Uhr. Nach dem Mittagessen bleiben uns noch 30 km und wir freuen uns schon darauf, am Nachmittag die heissen Quellen zu geniessen. Doch der Wind macht uns einen Strich durch die Rechnung: Wo wir am Morgen mit 25 km/h dahingeflogen sind, erfahren wir nun, was es heisst bei 38°C im Schatten und 30 km/h Gegenwind Velozufahren. Es fühlt sich an wie im Backofen mit Umluft, und dementsprechend gehen uns auch die Wasserreserven aus. Als der letzte Wassertropfen getrunken ist und wir immer noch zu weit von Thermopolis entfernt sind, fragen wir schlussendlich bei einem Haus für eine Nachfüllung; das beste Wasser, dass wir je getrunken haben. Komplett grilliert erreichen wir Thermopolis am frühen Abend und Bertrand legt sich direkt ins klimatisierte Hotelzimmer, während Arline nach einer wohltuenden Dusche ein Nachtessen zubereitet. Anschliessend spazieren wir nach Sonnenuntergang durch die Ablagerungen der weltweit grössten Heissen Quelle und Arline geht vor dem Schlafen noch ins Thermalbad.
Der folgende Tag wird ebenfalls heiss, doch der Wind bläst in unsere Richtung, sowohl durch den Wind River Canyon und auch später über die Ebenen von Shoshoni, so dass wir vor 3 Uhr nachmittags Riverton erreichen und sogar eine neue Powerbank finden. Die verbleibende Strecke nach Lander am nächsten Tag ist nur noch Formalität und hier finden wir einen coolen Platz im Citypark der Ortschaft.
Klettern in Wild Iris
Hier in Lander haben wir die Gelegenheit die Isomatte auf Garantie einzutauschen, Wäsche zu Waschen und für die nächsten 15 Tage einzukaufen. Bis wir Jackson erreichen, werden wir nur 2 kleine Dörfer traversieren und in der Nähe der Klettergebiete gibt es keinerlei Einkaufsmöglichkeiten. Wir habe das Glück, dass und Amy vom Wild Iris Climbing Shop anbietet, einen Grossteil der Lebensmittel und einen Kanister mit Wasser hinaufzufahren. Andernfalls wären wir mit unseren Velos an die Grenzen der Kapazität gestossen. Wir installieren unser Basecamp auf einen Hübschen Camping im Wal, hoch über dem Tal mit schöner Aussicht; und ohne Mücken. Dies heisst aber auch kein Wasser, denn hier in Wild Iris liegt der nächste Bach rund 5 km und 300 Höhenmeter tiefer. Wasser wird für die nächsten Kletterstopps generell die grösste Herausforderung: wir können zwar bis zu 40 Liter lagern und haben somit genügend Wasser für 4 Tage, doch wenn die Velos beladen sind, können wir nur rund 15 l transportieren und sind für den Rest auf die Hilfe von anderen Kletterern angewiesen. Und da die Isomatte von Arline eine halbe Woche Versandzeit hat, leiht Amy in der Zwischenzeit die ihre.
Die Kletterei in Wild Iris ist im Unterschied zu Ten Sleep «unbearbeitet» und hat daher auch einige schwierigere Boulderzüge. Die meisten Routen sind relativ kurz, doch der weisse Kalkfels und die Löcher und Risse machen die Kletterei sehr interessant. Und auch bezüglich der Bewertung stehen die Schwierigkeiten in einem anderen Verhältnis. Obwohl wir auf 2’600 m. ü. M. klettern, ist es in den süd- orientierten Felsen ab dem Mittag zu heiss und so verbringen wir die meiste Zeit in den Sektoren Erratic, Remuda und Zorro. Wir lernen auch ein paar andere Kletterer kennen, die am Abend mit uns am Lagerfeuer sitzen, uns nach ihrem Pausetag in Lader frisches Brot und kühles Bier mitbringen und eine von ihnen, Bettina, wird mit uns in den «Winds» klettern. Hierzu aber mehr beim nächsten Mal.
Kontakt: info@theotherwayaround.ch