Bosnien- Herzegowina
Der erste Eindruck und die ersten Tage in Banja Luka
Am Ende der Fahrt durch Kroatien kommen wir am Fluss Una an. Die Brücke führt uns nach Kozarska Dubica, von wo uns die Musik einer bosnischen Hochzeit entgegentönt. Dies gibt uns neuen Schub und trotz des langen Tages fahren wir noch einige Kilometer Richtung Banja Luka, um die morgige Schlussetappe zu verkürzen. Obwohl wir uns auf einer Hauptstrasse befinden, ist der Verkehr erstaunlich ruhig und obwohl uns ein schreckliches Verhalten der Autofahrer prophezeit worden ist, sind wir positiv überrascht; wir werden jeweils mit grosszügigem Abstand überholt. Heute Abend stellen wir das Zelt wieder im Garten einer Familie auf und werden erneut grosszügig zum Nachtessen eingeladen, dieses Mal ist die halbe Familie aus dem Dorf mit dabei. Auch diese Nacht hören wir erneut die Schakale heulen, und einer schleicht sogar am Zelt vorbei, bis er von den Hunden der Nachbarschaft vertrieben wird. Diese inoffensiven Tiere sind eine Mischung aus Fuchs und Wolf und legen auf ihren Streifzügen oft weite Strecken zurück.
Am nächsten Morgen nehmen wir die verbleibenden 70 km nach Banja Luka in Angriff. Auf den letzten Kilometern in die Stadt entscheiden wir uns, auf dem Trottoir zu fahren. Hier sind wir zwar vor dem zunehmenden Verkehr in Sicherheit, nicht aber vor den vielen Schlaglöchern. Und eines ist irgendwann zu viel für die Aufhängung der Fahrradtasche von Arline. Mit Kabelbindern befestigen wir die Tasche wieder am Gepäckträger und können bald weiterfahren.
Am selben Abend treffen wir Igor Vukić, einer der Organisatoren des «Drill & Chill Festival», einem Event, welcher Klettern, Highline und das Einrichten neuer Kletterrouten verbindet. Igor ist auch Mitglied des lokalen Klettervereins «Extreme» und einer der grossen Akteure in der Entwicklungsarbeit der aufsteigenden bosnischen Kletterszene. Nach einigen kurzen Worten gibt er uns den Kletterführer und kurz später finden wir uns mit einer Schaufel auf dem Flachdach der Kletterhalle wieder, wo wir zusammen mit den Leuten vom Club den Kies vom Dach schaufeln, um vor der Regenzeit eine neue Abdichtung aufbringen zu können. Hier beim Kletterclub von Banja Luka wird alles was möglich ist, selbst erledigt. Falls ihr mehr darüber erfahren möchtet, wie motiviert die bosnische Kletterszene trotz fehlender finanzieller Mittel ist, könnt ihr unter dem folgenden Link sehen, wie die Kletterhalle von Banja Luka (zweitgrösste Kletterhalle im Land) entstanden ist. https://www.youtube.com/watch?v=odgbl2JOkq
Da die Kletterhalle nur am drei Abenden pro Woche geöffnet hat, haben wir die Möglichkeit, in der Zeit hier in Banja Luka, mehrere Abende hier zu übernachten!
Das Potenzial der Felsen hier in Bosnien- Herzegowina ist immens. Es gibt Canyons, die an die Verdonschlucht erinnern und Felswände, die genauso in Margalef stehen könnten. Die Anzahl der einheimischen Personen, die sich fürs Klettern interessieren und regelmässig klettern ist jedoch sehr gering und so kommt es, dass ein grosser Teil dieser Möglichkeiten noch nicht erschlossen ist und viele Felswände noch unentdeckt im Dornröschenschlaf schlummern. Für uns ist es auf jeden Fall wie Weihnachten und aus der ursprünglich geplanten Woche am Drill & Chill Festival sind schlussendlich anderthalb Monate geworden. Aber alles der Reihe nach.
Der Tijesno Canyon und das «Drill & Chill Festival»
Nach der nächtlichen Schaufelaktion und einem Pausentag in Banja Luka fahren wir mit dem Velo zum Ausgangspunkt über dem Tijesno Canion. Nach der Steigung von 400 Höhenmetern und einigen Kurven durch die Hügellandschaft erreichen wir das Festivalcamp gegen Mittag und lernen DEN Einwohner vom Weiler kennen: Vito. Wir haben nicht einmal die Zeit richtig zu Bremsen, da hat er uns schon auf seine Gartenterrasse auf ein Glas Rakija eingeladen. Wir können eine kurze Schonzeit aushandeln, um das Zelt aufzustellen und etwas Kleines zu essen. (unsere Leber hat die Übernachtungen bei den Familien in Kroatien und an der bosnischen Grenze immer noch nicht ganz verarbeitet)
Vito lebt seit seiner Pensionierung durchgehend in seinem Häuschen hier am Rand des Tijesno Canyons und bietet in seiner Bar den Gästen türkischen Kaffee, Tee und hausgemachten Rakija an. Trotz der Sprachbarriere können wir uns verständigen und stolz erzählt er uns, dass sogar Adam Ondra, einer der weltweit besten Kletterer, hier an diesem Tisch gesessen ist und seinen Rakija probiert hat. Wir sind die ersten Besucher vom Festival, doch bereits am Nachmittag stossen Rebekka und Tobi dazu. Die Beiden waren bereits vor zwei Jahren am D&C und sind dieses Mal aus Deutschland per Velo angereist und während den zwei Tagen vor Festivalbeginn erkunden wir gemeinsam die Klettergärten Krylo und Amfiteatar. Und da ist dann noch der lokale Katzenclan. Sie interessieren sich vor allem für alles Essbare und dies geschieht nicht ohne Konsequenzen für die Campingmatte von Arline.
Das Drill & Chill Festival gehört zu den grössten Kletterevents in Bosnien- Herzogowina und dieses Jahr nehmen 200 Personen teil. Dabei handelt es sich um Kletterer, Highliner und Leute, die einfach nur für die gute Stimmung herkommen. Während den 10 Tagen des Festivals lernen wir Leute aus ganz Europa und mit diversen Hintergründen kennen und verbringen mit ihnen eine unglaubliche Zeit. Beim Bolters- Meeting am ersten Abend melden wir uns freiwillig, eine bestehende Route zu sanieren. So haben wir auch genügend Zeit, um nebenbei zu klettern. Dachten wir… Die Route, die wir sanieren werden, trägt den Namen WTF! (what the f***) und dieser Namen hätte uns bereits eine Warnung sein sollen. Die Mehrseillänge wurde während einem früheren D&C gebohrt, aber nie geputzt oder geklettert und hatte bis anhin auch keinen Ausstieg. Am ersten Tag irren wir mit Bohrer und 200 m Statikseil während zwei Stunden im Wald oberhalb vom Sektor Amfiteatar umher und versuchen die Route zu finden. Mit etwas Glück gelangen wir dann zu einem plausiblen Ausstieg, seilen an einem Baum einige Meter ab und finden die ominöse Route. Und auf uns warten noch weitere Überraschungen: der effektive Verlauf entspricht nicht dem Beschrieb, es fehlen Haken und Stände und an Schlüsselstellen befinden sich entweder haufenweise Grasbüschel oder riesige lose Steinblöcke, die mit dem Fuss weggetreten werden können. Auf uns wartet viel Arbeit. Wir arbeiten uns von oben nach unten, Bohren einen Stand für einen Ausstieg nach oben, putzen viel Gras und Erde aus den Löchern und Rissen, graben dabei eine grosse Menge wilder Zwiebeln aus, platzieren Stände neu und brechen die losen Steine heraus.
Für die Felssicherungsarbeit stehet uns jeden Tag ein Zeitfenster von 45 Minuten zur Verfügung, in denen die Hauptstrasse am Fuss des Canyons gesperrt wird und wir Steinblöcke jeglicher Grösse ins Tal ablassen dürfen. Der Jackpot geht an die Gruppe der Highliner von «Slackinov» aus Frankreich, die einen Felsblock von gut anderthalb Kubikmeter Grösse ausgebrochen haben, der es durch den Wald bis auf die Strasse geschafft hat. Auf dem Weg dahin hat er aber doch einiges an Masse verloren, so dass dieses Jahr der Belag nicht saniert werden musste.
Wir versuchen den Verlauf der Route nicht zu stark zu verändern, auch wenn dies eine immense Gartenarbeit bedeutet. Zeitgleich installieren wir auf Igors Wunsch auch eine Abseilpiste für die Route «Saveršen dan» und finden uns in einem komplett unberührten Teil der Felswand wieder: Tropfsteine, leicht überhängend und eine unglaubliche Felsqualität; kurzum, eine neue Linie, die danach schreit, gebohrt zu werden. Und schon haben wir uns in ein zweites Projekt gestürzt. Wir realisieren schnell, dass wir während dem Festival nicht mehr zum Klettern kommen, und auch für die Arbeiten Prioritäten setzen müssen. Wir haben die obersten drei Seillängen der Route WTF! komplett saniert und daneben unsere Route mit drei Seillängen eingebohrt. Die unteren Seillängen der WTF! werden während dem nächsten D&C saniert.
Und da man sagt, niemals Zwei ohne Drei, erwartet uns am fünften Tag des Festivals noch ein drittes Projekt: im Rahmen eines Werbefilms fürs Klettern rund um Banja Luka werden wir für 4 Episoden von einem professionellen Filmer während drei Tagen mit der Kamera begleitet. Leon begleitet uns zum Routenbohren, wir klettern eine Mehrseillänge, während dem Sportklettern in Kameni Most hängt er neben uns im Statikseil und am letzten Tag geht’s zum Sightseeing nach Banja Luka, wo wir im Blick der Kamera auf dem Markt einkaufen, durch die Burg spazieren und Ćevapčići essen, die Spezialität von Banja Luka. Mit diesem vollen Programm vergeht die Zeit schneller als gedacht und am Ende der 10 Tage sind die beiden Mehrseillängen nicht fertiggestellt. Wir entscheiden uns, den Aufenthalt hier zu verlängern und der Kletterclub willigt ein, uns das Material weiterhin auszuleihen. Nach einem Pausentag wegen Regen wären die Arbeiten wie geplant weitergegangen. Arline hat aber eine Grippe erwischt und während Bertrand die Routen vorwärtsbringt, sitzt sie im Zelt und hütet die Kätzchen. Für Bertrand bedeutet dies, dass er den Tag allein mit Geissfuss, Bohrmaschine, Haken und Putzmaterial in der Wand verbringt und am Abend jeweils bis zu 200 m am Statikseil hochsteigen darf. Doch die Aussicht auf den Canyon und der Wille, die Arbeit vor der Hochzeit seines Bruders zu beenden, lassen die Anstrengungen vergessen und so ist der letzte Haken am letzten Nachmittag gesetzt, Bertrand schleppt sich auf den Geissfuss gestützt zurück zum Camping und nach einer Pause und einer Erfrischung bei Vito fahren wir bei Sonnenuntergang mit dem Velo zur Kletterhalle nach Banja Luka. Hier dürfen wir unser Gepàck und unsere Velos im Materialraum lagern, während wir für die Hochzeit von Bertrands Bruder für eine Woche mit Bus und Nachtzug in die Schweiz zurückreisen. Fehlt nur, dass unsere neue Route bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht geklettert werden konnte.
Zurück im Velosattel
Aufgefüttert von der Hochzeit und nach einigen Stunden Zugfahrt, kommen wir ausgeruht nach einer Woche wieder zurück nach Banja Luka. Uns erwartet jedoch eine regnerische Woche und wir haben uns schon damit abgefunden, dass unsere Mehrseillänge nicht von uns freigeklettert wird. In der Kletterhalle von Banja Luka versuchen wir ein Schönwetterfenster abzuwarten, doch dieses tritt leider nicht ein. Und nach zwei Tagen Büroarbeit in der Halle suchen wir den Regenschutz heraus, packen alles Wetterfest ein und nehmen die nächste Etappe nach Mostar in Angriff. (ca. 250 km und 3’000 positive Höhenmeter) Im Nebel fahren wir über die Karstplateaus, folgen den Hügeln auf und ab und der einzige Vorteil der Suppe um uns herum ist, dass die Autos sehr langsam fahren, da sie noch weniger sehen als wir. Nach Šipovo erwartet uns ein Anstieg auf 1’200 m. ü. M. Mit der zunehmenden Höhe sinken auch die Temperaturen und aus dem Regen wird Schnee. In einer winterlichen Landschaft fahren wir bis nach Kupres und weiter nach Tomislavgrad. Glücklicherweise ist bei all dem Sudelwetter der Wind mit uns und schiebt uns auf den Hochplateaus vorwärts. Die Landschaft, so wenn der Nebel sich dann mal verzogen hat, ist karg und von einer wilden, einsamen Schönheit. Bei Kupres sind die grossen Höhenmeter geschafft und wir kommen zügig vorwärts. Auch wenn wir uns bei jeder Abfahrt auf den Aufstieg freuen, um uns wieder aufwärmen zu können. Nach einem langen, nassen Tag erreichen wir vor Einbruch der Nacht Tomislavgrad und gönnen uns eine Nacht in einem Motel; um die Sachen zu trocknen und uns wieder aufzuwärmen. Während dieser Etappe sind wir auf zwei ältere Herren gestossen, welche auf der Strasse neben uns angehalten haben und uns, auf Bosnisch, unmissverständlich beigebracht haben, dass wir doch komplett verrückt sind, bei Schneefall mit dem Velo unterwegs zu sein. Wir verstehen zwar kein Bosnisch aber die Aussage ist klar angekommen. Wir haben gegrüsst, gelächelt und sind weitergefahren. Doch die Beiden bleiben die Ausnahme; wir werden fast immer sehr herzlich empfangen und erleben eine unglaubliche Gastfreundschaft. Nach dreieinhalb Tagen Odyssee im Nebel durch die Karstplateaus erreichen wir bei Sonnenschein Mostar, und am gleichen Tag treffen wir wie geplant unsere Freunde, Julie und Dylan.
10 Sightseeing mit Freunden
Mit Dylan und Julie mieten wir ein Auto und reisen durch Bosnien. Die Temperaturen steigen auch nach und nach wieder an und wir lassen uns von den leuchtenden Herbstfarben verzaubern. Dabei folgen wir dem Programm, welches Igor für uns zusammengestellt hat. Wir klettern 2 Tage in Blagaj, machen eine Wanderung zu den wilden Pferden von Livno, erkunden die Grotte Ledenica, welche vor dem Krieg für Touristen zugänglich gemacht worden ist, jetzt aber auf eigene Faust und mit Stirnlampe erforscht werden muss und sehen die Wasserfälle im Nationalpark Una. Wir nutzen die Gelegenheit, um erneut in den Tijesno Canyon zurückzukehren und endlich unsere Mehrseillänge frei. (Beschreibung im Anhang)
Die letzten Tage dieser «Ferien» verbringen wir im Pecka Visitor Center. Wir mieten für vier Tage ein Bungalow und erkunden die Felswände, die uns mit den vielen «Pockets» sehr stark an Margalef erinnern. Nur ein kleiner Teil der Felsen ist zum Klettern eingerichtet, das Potenzial zum Routen bohren ist aber noch immens. Das Center war ehemals ein Schulhaus und dient jetzt als Gruppenunterkunft mit Massenlager und einem gemütlichen Gemeinschaftsraum. Die Küche ist ausgezeichnet mit vielen regionalen Produkten und hier werden Yoga und Pilz- Kurse angeboten, die naheliegenden Quellen des Flusses Sava laden zum Sein und Geniessen ein und die Schönheit der Region lässt uns die Welt rundherum vergessen. Das Ziel des Projektes vom Center in Pecka ist, ein Rückzugsort zu generieren, welcher den Leuten die Natur wieder näherbringt; und wer nach Bosnien- Herzegowina reist, sollte diesen Ort auf keinen Fall verpassen.
Mit der Rückfahrt nach Mostar setzt wieder Regen ein. Dylan und Julie reisen wieder zurück in die Schweiz und wir bleiben zweit Tage in Mostar, um die Büroarbeit vorwärtszubringen.
Von Mostar nach Podgorica
An einem sonnig windigen Sonntag lassen wir Mostar hinter uns und fahren aufwärts, zurück auf die Karstplateaus Richtung Nevesinje, und weiter nach Gacko. Wir campieren die erste Nacht in einem verlassenen Tal und als wir am Morgen aufstehen ist das Zelt vom Reif zugefroren. Wieder auf dem Velo saugen wir die ersten Sonnenstrahlen auf, stärken uns in Gacko mit einem Kaffee und freuen uns, heute Abend in Nikšić zu übernachten. Wir durchqueren die grosse Ebene und sehen schon die Hügel des Grenzgebietes zu Montenegro. Wir lassen die letzten Häuser hinter uns und fahren südwärts, bis uns eine ältere Frau auf einmal etwas nachruft. Wir halten an und ihre Tochter erklärt uns auf Englisch, dass die Grenze, die wir ansteuern, nur für die Einheimischen ist und dass wir bei Deleuša über die Grenze müssen. Konkret heisst dies für uns, dass wir einen Tag länger brauchen werden, bis wir in Podgorica ankommen. Uns bleibt aber nichts anderes übrig als umzudrehen. Wir bedanken uns bei der Familie für die Hilfe, fahren an diesem Tag noch bis nach Bileća und lassen Bosnien- Herzegowina einen Tag später als geplant hinter uns. Dabei erinnern wir uns, was uns in den allgemeinen Informationen fürs Drill & Chill gesagt worden ist: «Don’t trust Google Maps in Bosnia».
Annexe : Rakija and Wild Onions, Tijesno Canyon, Secteur Anfiteater
- 1. SL: 6c, 30 m, technischer Start mit guter Fussarbeit auf kleinen Leisten, gefolgt von einer einfachen Traverse. Der Schlussteil wird über einen grossen Sinter erreicht und ist leicht überhängend und kräftig.
- 2. SL: 7a, 37 m, kurze Traverse zu Beginn, gefolgt von einem Sintersystem und einem ausdauernden, leicht überhängenden Mittelteil und einem technischen Schluss über einen Pfeiler
- 3. SL; 5b, 30m, Ausstieg auf guten Griffen mit schöner Aussicht Der Zustieg dauert zu Fuss ca. 10 Minuten vom Parkplatz. Anschliessend wird von oben her über die Route abgeseilt.
Kontakt: info@theotherwayaround.ch