Unterwegs in der roten Wüste, zwischen Hitze und Frost
Ein zauberhafter Herbstwald und fantastische Felsen im Joe’s Valley
Ahorn und Zitterpappeln färben sich rot und leuchtend gelb, und erinnern uns, dass es Zeit ist, den Weg nach Süden einzuschlagen. Vor uns liegt die rote Sandsteinwüste von Utah. Der Weg dahin führt uns durch ein prächtiges Farbspiel über die 3’000 Meter hohen südlichen Ausläufer der Wasatch Mountains. Mit der Abfahrt gegen Osten wird die Vegetation rasch weniger und anstelle von Bäumen säumen rote Sandsteinblöcke in den bizarrsten Formationen den Strassenrand. Mit der Ankunft im Joe’s Valley haben wir die Wüste erreicht und wir freuen uns auf warme Tage beim Bouldern auf Sandstein. Die Leute von der Food Ranch in Orangeville helfen uns Crashpads (tragbare Matratzen, um die Landung beim Bouldern angenehmer zu machen) zu besorgen, und hier können wir auch die lang ersehnte Dusche geniessen.
An unserem ersten Tag in der Wüste hätten wir gerne etwas anderes gemach als alles regensicher im Zelt zu verstecken. Und anstatt zu bouldern, spazieren wir während einer Trockenpause nur zwischen den Blöcken umher, denn Sandstein braucht nach einem Regenschauer rund 24 Stunden Zeit, um zu trocknen, andernfalls brechen Griffe ab. Doch das Warten lohnt sich: Die Routen sind noch besser als erwartet, insbesondere die verschiedenen von Wind und Wasser ausgehöhlten Löcher. Und da Bouldern die wohl sozialste Disziplin im Klettern ist, lernen wir auch viele Leute kennen, mit denen wir die «Betas», austauschen, Slacklinen und am Abend am Lagerfeuer sitzen.
Die Wüste von Moab
Nach einer Woche im Joe’s Valley packen wir wieder unsere Velos und fahren mit einer grossen Wasserration Richtung San Raphael Swell, den wir durch den Buckhorn Canyon durchqueren, vorbei an unzähligen Piktografen und Petroglyphen nach Green River und dann durch die Wüste Richtung Moab. Die weiten, roten Landschaft mit den ausgeprägten Felsstrukturen geben uns das Gefühl, auf einem anderen Planeten zu sein. Oder um es in den Worten des Sportgeschäfts von Moab auszudrücken: «Wie auf dem Mars, aber mit mehr Atmosphäre».
Wir bleiben gut eine Woche in der Region von Moab, wo wir bei Terri Ann ein kleines Basislager haben, an der «Wall Street» klettern und auch den Castleton Tower und bei den Fisher Towers den «Ancient Art» erkunden. Bis anhin hatten wir nur immer von diesen Wüstentürmen gehört, doch auf einem zu stehen ist wirklich ein Erlebnis wert; die exponierte Kletterei, meist im Trad, und dann vor Allem die unglaubliche Aussicht aufs Umland. Insbesondere der Gipfel des «Ancient Art» braucht einiges an Überwindung, denn die Nadel ist gerade gross genug, um die Füsse nebeneinanderzustellen.
Auf dem Weg in den Indian Creek wartet beim Looking Glass Rock ein nächstes Abenteuer auf uns: ein «Big Swing». Drei Kletterer haben das Seil am Stand hoch oben im Bogen aufgehängt, und bis zum Sonnenuntergang pendeln wir quer durch die Grotte, bevor wir am nächsten Tag Monticello erreichen.
Monticello und Indian Creek
Im Sommer hat Norrona einen Artikel über die Mitglieder des Content-Teams geschrieben, worauf uns Dustin und Natalie Randall eingeladen haben, falls wir in den Indian Creek kommen, ein paar Tage bei ihnen in Monticello zu verweilen und angeboten, uns mit der Organisation für Wasser und Lebensmittel zu helfen. Wenige Tage vor unserer Ankunft erfahren wir jedoch, dass Dustins Vater verstorben ist, und wir wollen nicht stören, doch Dustin bittet uns dennoch zu kommen; Zerstreuung sei sehr willkommen. Wir lernen also nicht nur Natalie, Dustin und ihren Sohn Roman kennen, sondern auch die gesamte Verwandtschaft. Während mehreren Tagen helfen wir bei den Vorbereitungen für die Beerdigung, kochen Pancakes für gut 20 Kinder und da Dustins Vater ein grosser Waffensammler war, wir haben hinsichtlich der Vorbereitungen des «Shootings» auf dem Feld geholfen, über 40 Schusswaffen in den Keller zu tragen, um diese dann auszusortieren. Wir hätten nie gedacht, im Laufe unserer Reise an einer Beerdigung teilzunehmen, doch als wir dann nach der Beerdigung mit Schusswaffen auf den Knien auf der Rückbank eines alten Trucks an der Tankstelle sitzen und warten, bis fertig getankt ist, haben wir definitiv die Grenzen unserer Vorstellungskraft überschritten. Als das Tageslicht das «Targetshooting» beendet, zündet Dustin das «Bonfire» (ein Funkenfeuer) an, welches bis lange in die Nacht hinein brennt und für eine warme Atmosphäre sorgt.
Bevor wir im «Creek» klettern, nehmen uns Natalie und Dustin mit auf eine Mountainbike-Tour durch den Montezuma Canyon, bevor Dustins uns nach einem kurzen Wintereinbruch den «Bothy Wagon», einen umgebauten Schäferwagen, in den Indian Creek stellt, den wir für diese Zeit als Unterkunft nutzen können, mit Bett und Holzofen ein wahrer Luxus!
Die Risskletterei im Indian Creek ist weltberühmt. und so haben auch wir uns für einen Stopp im Indian Creek entschieden, um uns mit der pursten Art der Risskletterei vertraut zu machen. Hier gibt es ausser dem Riss keinerlei andere Strukturen für Hände und Füsse. Die einzige Möglichkeit, um nach oben zu kommen, ist, die Hände und Füsse im Riss zu verklemmen, hochziehen, und erneut verkeilen. Hört sich relativ einfach an, und ist im Prinzip auch einfach erklärt, doch die Umsetzung erfordert viel Übung, Vertrauen in die Stabilität der verkeilten Gliedmassen und eine grosse Portion Schmerztoleranz. Wir befinden uns wieder auf der absoluten Beginnerstufe, profitieren so oft wie möglich von eingehängten Topropes und freuen uns über jeden noch so kleinen Fortschritt. Mit jedem Tag bewegen wir uns besser, machen ein paar Züge mehr, doch wir kommen nicht in denselben “Flow”, den wir ansonsten beim Klettern kennen. Und auch die blauen Flecken auf dem Handrücken sind nicht wirklich unser Ding. Andere Kletterer haben uns gewarnt: Das erste Mal im Creek zu Klettern ist keine Freude, aber sobald du weggehst, möchtest du wiederkommen; und das zweite Mal wird schon viel besser. Wir waren froh, als wir endlich wieder unterwegs waren, doch schon bald haben wir uns wieder an die Risse gewagt, denn deren Ästhetik ist nur zu anziehend. Und wir freuen uns auf mehr!
Der Oktober ist schneller vorbeigegangen als bemerkt, doch vermehrt ziehen Winterstürme über die Wüste Utahs, teils mit Schnee und fast immer mit Minustemperaturen. Jeder neue Schauer erfordert einen Tag Pause, um den Sandstein trocknen zu lassen, und da sich in den Bergen bereits der erste Schnee ansammelt, machen wir uns auf den Weg Richtung Westen, nach St. George.
Eine Reise durch die Nationalparks von Utah
Am 1. November verabschieden wir uns von den Randalls in Monticello und fahren Richtung Blanding und Hanksville, besichtigen Ruinen aus der Zeit der Anasazi, einer Zivilisation welche bis ins 13. Jhd. n. Chr. hier gelebt und Landwirtschaft betrieben hat. Wir machen auch einen Stopp bei den Natural Bridges, für eine kleine Wanderung im Capitol Reef und einem Erkundungsversuch des Zebra-Slot Canyons (der Eingang war mit Wasser gefüllt, doch stattdessen haben wir eine wunderschöne Landschaft entdeckt), bevor wir mit starkem Wind in einem letzten Push bis zum Bryce Canyon Village hochfahren. Es hat sich gelohnt, ein wenig auf die Zähne zu beissen, und die gut 100 km und 1’000 Höhenmetern in einem Tag zu fahren, denn als wir am nächsten Morgen im Motelzimmer aufwachen, liegen gut 30 cm Neuschnee, es windet stark, die Temperaturen sind unter den Gefrierpunkt gefallen und wir realisieren, mit 3 Tagen Verspätung, dass Zeitumstellung war. Doch der Schnee hat die roten Felstürme des Bryce Canyons in ein Märchenland verwandelt, welches in den Sonnenstrahlen des darauffolgenden Tages erst richtig erstrahlt.
Unsere Weiterreise nach Saint George beginnt mit –12 °C und wir sind froh, während den Sommermonaten unsere dicken Handschuhe nicht für nichts mitgetragen zu haben. Doch wir sind froh, über all die Übernachtungsmöglichkeiten, die uns Dustins Verwandtschaft angeboten haben.
Klettern und Zahnarzt (ja, schon wieder…!) in St. George
Die Temperaturen bleiben winterlich kühl und wir können ein paar Tage bei der Familie Purdy in Santa Clara bleiben und an den sonnigen Felswänden vom Turtle Rock, Chuckawalla Wall, Black Rock und Zen Wall zu klettern, bevor Arline ihre verbleibenden Weisheitszahnwurzeln entfernen lassen muss. Somit wären wir bei 4.5 Weisheitszähne, welche auf dieser Reise gezogen werden mussten. Doch erneut haben wir Glück, denn Dustins Grosseltern Gae und Wayne heissen uns in ihrem Haus willkommen und ein weiches Bett und viele Stunden beim Puzzle zusammenstellen helfen für eine rasche Erholung. Wir sind verblüfft, als wir erfahren, dass beide bereits über 90 sind und Wayne, ein ehemaliger Professor für Kommunikation, immer noch 4 Manuskripte offen hat, von denen 2 bald publiziert werden. Doch sobald Arline sich wieder fit genug fühlt, zieht wes uns wieder nach draussen, wir wollen einige Tage im Snow Canyon verbringen, inmitten roter und weisser Sandsteinformationen, Lava-Tubes und einer schönen Mehrseilroute (The Richness of It All). Zeitgleich suchen wir auch nach einer sicheren Strasse nach und durch Las Vegas, denn der Freeway (= Autobahn) ist sehr stark befahrenen und für Velos verboten, alternative Routen gibt es keine. Doch dann erfahren wir, dass Dustins Tante Lavinia nach Thanksgiving zurück nach Vegas fährt und uns mitnehmen könnte. Dies bricht zwar mit unserem Prinzip, die Velos nicht in ein Auto zu laden, doch die bestehende Verkehrssituation in Angesicht der Sicherheit oder Alternativen mit dem ÖV lassen uns wenig Auswahl: entweder wir nehmen die Mitfahrgelegenheit an oder vernachlässigen unsere Sicherheit im Strassenverkehr. Wir wählen ersteres und bleiben anschliessend 2 Nächte bei Lavinia und schlendern am frühen Abend durch den «Strip» von Vegas, der uns nach 4 Stunden aber schon verleidet ist. Die Menschen, die Lichter, der Lärm und der Verkehr sind zu viel nach all den Wochen in der weiten stillen Wüste von Utah.
Klettern in den Red Rocks
Von Lavinias Haus fahren wir entlang der Peripherie von Las Vegas bis in die Red Rocks. Mit der Zeitumstellung zwischen Utah und Nevada und den kürzer werdenden Tagen, ist es jeweils um 5 Uhr abends schon dunkel. Dafür stehen wir früher auf und versuchen, das Tageslicht so gut wie möglich zu nutzen. Die Red Rocks sind vor allem für die Mehrseillängen bekannt, doch die tiefen Temperaturen und kurzen Tage kombinieren sich nur schlecht mit dem zusätzlichen Zeitaufwand für die Zufahrt mit dem Velo; es erfordert viel Energie, bereits vor Tageslicht und Minustemperaturen aufzustehen, um bei Sonnenaufgang am Wandfuss zu stehen. Glücklicherweise stehen uns aber auch eine ganze Reihe Sportrouten zur Auswahl, mit kurzem Zustieg und in der Sonne. So haben wir auch Zeit, in der Sonne zu frühstücken und wie die Amphibien erst einmal aufzuwärmen, bevor wir klettern gehen. Wir waren sehr erstaunt über die extremen Temperaturschwankungen innerhalb des Tages: sobald die Sonne scheint, sorgt die Strahlung schnell für warme Temperaturen, doch wenn auch nur eine Wolke vorbeizieht oder sich der Wind erhebt, fallen die Temperaturen rasch um gefühlte 10 °C. Wir haben nach einigen Recherchen dann doch eine Mehrseilroute gefunden, die sich mit den winterlichen Temperaturen vereinbaren liess, doch nach in der Hälfte haben uns der Wind und die Wolken das Spiel verdorben. Die Temperaturen sind rasch gegen den Gefrierpunkt gefallen, und wir haben uns entschieden, umzukehren. Selten waren Handschuhe zum Abseilen so nützlich.
Die letzten Wochen in den USA
Bereits in den Red Rocks haben wir die ersten «Joshua Trees» gesehen, doch was uns auf dem Weg zum Joshua Tree National Park erwartet, hat nichts Vergleichbares. Wir queren Sandy Valley, wo wir bei einer Ranch das Zelt aufstellen dürfen und in den Genuss des geheizten Gemeinschaftsraums und einer heissen Dusche kommen, und das Mojava National Preserve, mit grossen Wasserreserven, aber bei kühlen Temperaturen, vorbei an riesig grossen «Joshua Trees», durch unglaublich weite Landschaften, bei denen Steigungen mit 600 m Höhendifferenz einfach aussehen wie eine gerade Linie in den Himmel und wo die Erosion eine Landschaftsform geschaffen hat, die fast der eines Gletschers ähnelt. Nach 5 Tagen erreichen wir die Ortschaft 29 Palms, wo wir Sylvain und Claude treffen, zwei Walliser, die ebenfalls durch Nordamerika reisen. Und wir treffen auch James wieder, den wir in Maple Canyon kennengelernt haben. Während das Wetter ein wenig verrücktspielt, klettern wir auf den Granittürmen des Joshua Tree National Parks, wo Sportrouten teilweise keinen Stand haben, da man über einen anderen Weg herunterklettern kann, und wo es bedeutend weniger Joshua Trees gibt als in der Mojave Wüste. Doch unsere Zeit läuft, das Visa ist bald zu Ende und so fahren wir die letzten Kilometer in den USA von Joshua Tree nach Palm Springs, wo wir unsere Velos in Kartons packen und in die Karibik senden, bevor wir mit dem Sunset Limited (Zug) über 27 Stunden nach San Antonio fahren, von wo uns ein Bus über die mexikanische Grenze nach Monterrey bringt. Die grösste Herausforderung dieser Reise hat sich uns aber bereits in Palm Springs gestellt: Da unser Zug erst nach Mitternacht abgefahren ist, mussten wir den Tag irgendwie füllen, ohne all unser Gepäck dauernd herumzutragen. Als wir am Nachmittag in einem Park ein wenig die Sonne geniessen wollten, hat uns die Security angewiesen, den Park zu verlassen, denn all das Gepäck hat zu sehr an Obdachlose erinnert … wir haben dafür in einer Brauerei und anschliessend im Kino Zuflucht gefunden, bevor wir gegen 23 Uhr mit dem Taxi zum Bahnhof gefahren sind. Und dann, nach 48 Stunden Reise, mit wenig Schlaf, viel Kaffee und langwierigen Zollformalitäten freuen wir uns umso mehr auf ein Bett; und eine Portion Tacos in Mexiko.
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